ICI-Nobel ist das klassische Beispiel für Servitization. ICI-Nobel stellt Sprengstoffe für Steinbrüche her. Während ICI-Nobel früher die Sprengstoffe verkaufte, änderte man sein Geschäftsmodell und bot nicht mehr den Sprengstoff, sondern die Sprengung als Dienstleistung an. Es waren die Spezialkenntnisse von ICI-Nobel in der Optimierung von Sprengvorgängen, die diesen Schritt ermöglichten. Die Folge der Servitization waren sehr schnell höhere Gewinne und vor allem eine verstärkte Kundenbindung.
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Servitization: Definition
Servitization ist die Transformation von produzierenden Unternehmen hin zu Dienstleistungsunternehmen. Statt Produkte zu verkaufen, bieten diese Unternehmen Dienstleistungen an, welche ihre Produkte verwenden. Doch die Produkte werden nicht mehr alleine angeboten.
Für die herstellenden Unternehmen setzt Servitization einen tiefgreifenden Veränderungsprozess in Gang. Das Produktverständnis wird grundlegend verändert. Diese Transformationsprozesse werden von Wissenschaftlern wie Prof. Andy Neely an der University of Cambridge[3] sowie Prof. Tim Baines an der Aston Business School erforscht.
Die Nutzenpotenziale sieht man in ihrer Disruptionskraft ähnlich jener durch „Just-in-Time“ und „Lean Manufacturing“ freigesetzten Energien. Die Tertiarisierung (Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft) erfolgte beschleunigt durch den steigenden Wohlstand, einen gesellschaftlichen Wandel und nicht zuletzt durch die rasante Digitalisierung. Die Tertiarisierung wiederum sorgt im Endergebnis für eine hohe Akzeptanz der in Dienstleistungen konvertierten Produkte. Somit ist die Servitization eine disruptive Veränderung der bestehenden Geschäftsmodelle, welche vom Zeitgeist in Gesellschaft und Wirtschaft getragen und gefördert wird. Lösungen und Ergebnisse stehen über dem rein materiellen Produkt und sorgen für eine langfristige Kundenbeziehung.
Abgrenzung: Servicizing und Produkt-Service-Systeme
Servitization ist jedoch nur dann gegeben, wenn Hersteller oder Anbieter ihr Produktportfolio vollständig komplementieren und in ein reines Serviceangebot transformieren. Das Servicizing und auch Produkt-Service-Systeme benennen die Verkaufstransaktion bzw. die für den Verkauf geschaffenen Pakete im Angebotsportfolio, welche die nutzenstiftende Dienstleistung und die dazu benötigten Produkte enthalten.
Beispiele für Servitization: Examples
Das Verfahren der Servitization ist nicht neu. Es besteht bereits seit über 100 Jahren. Doch gerade seit etwa 20 Jahren gewinnt Servitization stark an Bedeutung. Treiber des Booms ist die Globalisierung der Märkte. Vor allem Unternehmen in Hochlohnländern wie Deutschland setzen auf Servitization als Schutz gegen Konkurrenz aus Niedriglohnländern. Letztere können bestenfalls Produkte zu niedrigen Preisen anbieten. Kaufen Kundenunternehmen jedoch via Servitization die Lösung als Ganzes (Dienstleistung einschließlich dem Produkt), können die Billiglohnländer aufgrund der fehlenden Expertise im Einsatz der Produkte nicht mehr verkaufen, da die Kundenunternehmen das Produkt alleine nicht mehr verwenden können. Deren interne Fachleute für den Produkteinsatz sind seit dem Einsatz der Dienstleistung des Servitization-Unternehmens nämlich nicht mehr verfügbar.
Servitization in der Logistik
Große Megatrends beeinflussen aktuell die Logistik: Hauptakteure sind Digitalisierung und Servitization. Und die Veränderungen hinterlassen eine deutliche Spur in der Logistik. Die Arbeitsgruppe Supply Chain Services am Fraunhofer Institut haben in einer internen Studie acht Megatrends ausfindig gemacht, welche dauerhaft Einfluss auf die Logistik nehmen und logistische Prozesse stark verändern.
- Digitalisierung
- 3D-Druck
- Autonomes Fahren
- Robotik
- Informationssgesellschaft
- Diversifizierung
- Servitization
- Nachhaltigkeit
So konstatierte Professor Dr. Alexander Pflaum, Leiter der Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS, „Das ist der Grund, warum Produkte im Vergleich zu Daten und Services an Bedeutung verlieren werden“. Die Auswirkungen von Digitalisierung und Servitization auf die Logistik sind enorm, die sich vor allem in der Intralogistik zeigen. Routenzüge unterstützen den Trend zu schlanken Prozessabwicklungen, verändern zusehends Transportprozesse. Ein Beispiel ist der Routenzug, ein Gespann aus einem Schlepper und mehreren Anhängern. Der Routenzug trabsportiert das Ladegut auf den Anhängern entlang einer vorgegebenen Route, stoppt an definierten Haltestellen. Dort werden Materialien aufgeladen, andere entladen. Die Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS hat hierzu ein Kennzahlen-System entwickelt, welches permanent Betriebsdaten aus der Fertigungs- und Lagerumgebung aufnehmen und auswerten lässt. Veränderungen und Trends können so erkannt, der Betrieb des Routenzugs optimiert werden. Zu den Daten, welche die IoT-Sensoren am Schlepper aufnehmen gehören Fahr- und Standzeiten sowie der Beladungszustand.
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Beispiel Rolls-Royce
Das Power by the Hour-Modell von Rolls-Royce wird auch von anderen Herstellern von Flugzeug-Triebwerken betrieben. Die Hersteller verkaufen keine Triebwerke mehr. Vielmehr übernimmt man für das zur Verfügung gestellte Triebwerk die Verantwortung für Wartung und Reparatur. Das Entgelt wird für die Betriebsstunden der Triebwerke berechnet. Für Rolls Royce hat die die Servitization gerechnet. Unterm Strich erhöhten sich die Umsätze. Zusätzlich wurden die Erlösströme gleichmäßiger.
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Beispiel Alstom
Alstom bietet erweiterte Wartungsdienste an, bei denen die Leistung für seine Kunden nach dem Prinzip „verlorene Kundenstunden“ priorisiert wird. Das bedeutet, dass ein wesentliches Ziel darin besteht, die Dauer der Verspätungen durch Zugausfälle zu minimieren und die Zahl der betroffenen Fahrgäste so niedrig wie möglich zu halten. Als Teil des Vertrags zahlt Alstom dem Kunden Geldstrafen, wenn während der Stoßzeiten Fahrzeuge ausfallen.
Das TrainLife Services (TLS)-Paket von Alstom umfasst Dienstleistungen wie zustandsabhängige Wartung, Unterstützung für den Management- und technischen Betrieb sowie Leistungsverbesserung – und unterstützt so den Bedarf der Kunden nach einem zuverlässigen, qualitativ hochwertigen Service.
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Beispiel Xerox
Xerox ist bekannt als Hersteller von Fotokopiergeräten. Xerox hat sein Geschäftsmodell transformiert und positioniert sich heute als Unternehmen für Geschäftsprozesse und Management. Aktuell erwirtschaftet Xerox mehr als die Hälfte seiner Umsätze aus Dienstleistungen.
In den letzten Jahren hat sich Xerox auf Dokumentveröffentlichungs- und -produktionsdienste, Dokumentenmanagement und Outsourcing von Geschäftsprozessen spezialisiert. Beispiele für Dienstleistungen in der Praxis umfassen die Bereitstellung von Lernlösungen für Hertz, einschließlich Lehrplaninhalten, Verwaltung und Unterstützungsdiensten für Lernende. Für Siemens Italien erstellte Xerox ein digitales Archiv und eine Schnittstelle, um die Dokumentenkontrolle zu verbessern und Papierverschwendung und -verbrauch zu reduzieren.
Xerox selbst beschreibt den durchlaufenen Prozess als „das Wesen der Servitization“: die Nutzung von Technologie, um Dienstleistungen anzubieten, die eng mit bestehenden Produkten gekoppelt sind.
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Beispiel ICI-Nobel
Das frühere britische Unternehmen ICI-Nobel hatte sich auf Sprengstoffe für Steinbrüche spezialisiert. Im rahmen der Servitization bot ICI-Nobel nunmehr die Sprengung als Dienstleistung an. Dieser Wechsel war vor allem durch die Spezialkenntnisse des Unternehmens über die Optimierung von Sprengvorgängen möglich. Höhere Gewinne und eine stärkere Kundenbindung waren die positive Folge.
Vorteile
Vorteile für Hersteller
Ein großer Vorteil für Unternehmen, die sich vom Hersteller zum Dienstleister weiterentwickelt haben, ist die stärkere Bindung der Kundenunternehmen. Denn mit dem Einkauf der Dienstleistung verzichtet das kaufende Unternehmen auf ein Stück Anwendungswissen im eigenen Haus und macht sich von der Expertise des Servitization-Unternehmens abhängig.
Für Unternehmen in Hochlohnländern bietet Servitization einen Schutz gegen Angebote aus Niedriglohnländern. Der Schutz entsteht durch die bewirkte Veränderung der Einkaufsgewohnheiten bei den Kundenunternehmen. Haben Kundenunternehmen bislang die Produkte bezogen und durch interne Experten selbst eingesetzt, kaufen diese nunmehr die Dienstleistung einschließlich des Produkts beim Servitization-Unternehmen ein. Mit dem Wegfall der eigenen Experten machen sich die Kundenunternehmen von dem Servitization-Anbieter abhängig. Von Billig-Produkt-Angeboten aus Niedriglohnländern können sie keinen Gebrauch mehr machen, da es im Unternehmen keinen Experten mehr gibt, der die Produkte anwenden könnte. Somit werden Anbieter aus Niedriglohnländern durch Servitization im Markt verdrängt.
Dienstleistungen bringen auch zusätzliche Umsätze und verhindern durch den entfallenden Preiskampf mit Billiganbietern das Schwinden von Margen im reinen Produktgeschäft. Komnplexe Dienstleistungen sind nicht so leicht austauschbar wie reine Produkte, was zur Intensivierung der Kundenbeziehung führt. Ein weiterer Effekt: Das Erbringen von Dienstleistungen schafft intensivere Beziehungen auf zwischenmenschlicher Ebene. Dies führt zusätzlich zur stärkeren Bindung des Kunden.
Vorteile für Kunden
Doch auch für das Kundenunternehmen bringt Servitization große Vorteile. Fixkosten für die Investition in Anlagen und Maschinen oder andere Produkte wandeln sich zu variablen Kosten. Betriebsrisiken wie der Geräteausfall werden auf den Lieferanten verlagert. Umgekehrt kann der Gerätehersteller die Geräte effizienter und kostengünstiger betreiben als es das Kundenunternehmen könnte.
Servitization bringt auch eine vorteilhafte Interessensverschiebung mit sich. Während der Hersteller im After Sales Geschäft an den Reparaturen verdiente und somit entgegengesetzte Interessen hatte wie der Kunde, ist es nunmehr auch im Interesse des Herstellers, dass die Maschinen eine möglichst geringe Ausfallzeit und somit eine lange Lebensdauer haben.
Nachteile
Die Transformation des Unternehmens ist zeitaufwändig und kostenintensiv. Aber auch die Umsetzung des Servitization-Business-Model ist aufwändig. Dies liegt vorrangig an der gestiegenen Bedeutung des Kunden in der Wertschöpfungskette. Dort taucht der Kunde auf mehreren Stufen auf und fordert zunehmend mehr Service bis hin zur 24/7-Betreuung vom Anbieter. So verliert das Produkt selbst an Bedeutung und gewinnt die Dienstleistung im selben Moment hinzu. Gleichzeitig steigt auch der Aufwand, die Dienstleistung konform zu den Erwartungen des Marktes anzubieten.
Servitization hat auch den Produktentwicklungsprozess umgekehrt und aufwändiger gestaltet. Die Entwicklung wird beginnend beim Kunden gedacht und rückwärts bis zum Hersteller geführt. So sehen Organisationen heute ihre Aufgabe darin, einen 100% kundenorientierten Produktionsprozess zu erzielen.
Ein Wandel im Selbstverständnis des Unternehmens und der Unternehmenskultur sind ebenfalls Voraussetzung für den Erfolg der Transformation. Die Zieldefinition ändert sich: weg vom transaktionsorientierten Geschäft hin zu dem sogenannten Relationship Business. Die Kompetenzen des Unternehmens in der Produkttechnologie müssen in Services und Gesamtlösungen transformiert werden, welche vom Kunden erwartete Ergebnisse darstellen. Neu für Hersteller ist ebenfalls die Zunahme an Verantwortung für Verfügbarkeit und Werterhalt des Produkts. Mit der Zunahme der Verantwortung steigen mit jeder erklommenen Service-Stufe auch die Risiken des Herstellers.
Erforderliche Veränderungen
- Die Produktdefinition verändert sich. Wenn der Kunde nur noch eine "Leistung" bezieht, erfordert das ein Neuaufgleisen aller Stufen der Wertschöpfungskette von Supply-Chain über die Entwicklung bis hin zum Vertrieb.
- Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen werden komplexer, da jetzt auch der Feldeinsatz der Produkte mit all seinen Risiken einbezogen werden muss. Erfolgt im Vertrieb der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen gemischt, werden die Kosten- und Profitabilitätsbetrachtungen nochmals komplexer.
- Anreizsysteme im „servitized“ Unternehmen müssen angepasst werden, wie auch Messgrößen und Kennzahlen. So erhält die neue Kennzahl "Tage-ausfallfrei-im-Einsatz" ein hohes Gewicht, da sie die Wirtschaftlichkeit direkt über die Wartungskosten und indirekt über die Kundenzufriedenheit und Folgegeschäfte beeinflusst.
- Die Infrastrukturen und das Service-Know-How im Niederlassungsnetz werden nun noch wichtiger. Sie unterstützen die Servitization und damit die Transformationsgeschwindigkeit des Unternehmens direkt.
- IoT und BigData werden zunehmend wichtiger. IoT tritt in den Vordergrund, weil intelligente Mesh-Netzwerke eine flächendeckende Datensammlung erst ermöglichen. BigData wird zur Pflicht, um aus den gesammelten Daten Erkenntnisse zu ziehen und die Servicequalität und damit die Rentabilität zu verbessern.
- Eine ausgefeilte Service-Lifecycle-Management-Infrastruktur wird unabdingbar. Informations- und Kommunikationstechnologien werden in allen Geschäftsprozessen nicht nur notwendig, sie offerieren auch zusätzliche Möglichkeiten, dem Kunden zusätzliche Dienste zu offerieren.
Service-Typen
Drei Service-Typen begleiten die Transformation hin zur Servitization. Sie weisen unterschiedlich hohe Reifegrade aus und sind angelehnt an Tim Baines. In den ersten beiden Stufen werden oft Dienste wie Leasing, Instandhaltung, Installation, Entsorgung und Schulung an die Produkte angebunden.
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Base Services
Die „Base Services“ setzen das Konzept der Servitization nur unvollständig um. Hier handelt es sich um Dienstleistungen als Ergänzungen zu Produkten. Ein Beispiel hierfür ist ein Ersatzteil-Service. Dennoch erwirbt der Kunde immer noch das Produkt selbst und entscheidet, ob der zusätzlich den Base-Service erwerben möchte.
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Intermediate Services
Die „Intermediate Services“ werden nicht mehr eventgesteuert eingesetzt, sondern stellen proaktiv die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Produktes sicher. Dies geschieht durch vorbeugende, präventive Wartung (Preventive Maintenance).
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Advanced Services
Diese dritte Stufe erst lässt den Kunden ein erwartetes Ergebnis kaufen. „Advanced Services“ lassen das physische Produkt (z. B. Kran oder Lkw) in der Dienstleistung untergehen. Das angestrebte Ergebnis und die gewünschte Leistung werden vom Kunden gekauft. Dies kann auch über den Rahmen eines einmaligen Geschäfts hinausgehen und sich über wiederkehrende Käufe über einen langen Zeitraum hinweg erstrecken. In diesem Fall kann sich der kauf auf eine bestimmte wiederkehrende Leistung (ein monatliches Transportvolumen) beziehen.
Hier kommt es zum ersten Einsatz eines Produkt-Service-Systems. Das physische Produkt des Herstellers gelangt nicht mehr ins Eigentum des Kunden. Vielmehr behält der ehemalige Hersteller die Maschine und erbringt damit kontinuierlich Leistungen fürmden Kunden im vorher definierten Umfang mit einem vorher definierten Ergebnis.
Vorgehensweise
Die Servitization-Transformation erfordert eine Betrachtung des Service Lifecycle Management. Je komplexer sich die Transformation der Servitization erweist, desto häufiger findet diese in Stufen statt und beginnt mit einfacheren Produktergänzungen durch „Base Services“.